Modul 3
Modul III: Implikaturtheorie und Konversationsmaximen
Vorbemerkung
Die folgende didaktische Analyse widmet sich Theorien sprachlichen Handelns, die mithilfe von Internet-Memes, genauer gesagt sogenannten Image Macros, einem beliebten Kommunikationsformat aus der Lebenswelt von Schülerinnen und Schülern, analysiert werden. Modul 3 dieser Fortbildung fokussiert die Implikaturtheorie und die Theorie der Konversationsmaximen nach H. Paul Grice. Ziel dieses Moduls ist es, Internet-Memes als Kommunikationsformat für die Analyse von Sprechakten sowie Implikaturen fachdidaktisch aufzubereiten.
Dieses Modul ist folgendermaßen gegliedert: In Abschnitt 1 erfolgt eine Lernzielanalyse inkl. Anbindung der Lernziele an die Bildungsstandards zur Allgemeinen Hochschulreife (AH) sowie zum Ersten Schulabschluss (ESA) und Mittleren Schulabschluss (MSA). Anschließend wird in Abschnitt 2 eine detaillierte Sachanalyse dargelegt, in der die Implikaturtheorie sowie die Theorie der Konversationsmaximen nach Grice einerseits theoretisch und andererseits praxisorientiert auf Basis von Internet-Memes aufbereitet werden. Darauf folgt in Abschnitt 3 ein Beispiel für den Einsatz von Internet-Memes zur Didaktisierung von Konversationsmaximen im Unterricht gegeben. Abschließend werden in Abschnitt 4 die Unterrichtsmaterialien dargelegt.
1 Lernzielanalyse und Anbindung an die Bildungsstandards
In den Lehrplänen und Bildungsstandards zum Unterrichtsfach Deutsch werden im Besonderen die Text- und Medienkompetenz von SuS hervorgehoben. Neben literarischen Texten beinhaltet dies laut den „Bildungsstandards im Fach Deutsch für die Allgemeine Hochschulreife“ der KMK vor allem „pragmatische Texte unterschiedlicher medialer Form unter reflektierter Nutzung von fachlichem Wissen“ (BS Allg. HSR 2012: 18).
Als grundlegende Anforderungen sind u. a. die Ermittlung der „in pragmatischen Texten enthaltenen sprachlichen Handlungen“ sowie die Analyse „der Elemente der Textgestaltung einschließlich nichtsprachlicher Bestandteile in ihrer Funktion“ festgelegt (vgl. BS Allg. HSR 2012: 19). Auch in den „Bildungsstandards für das Fach Deutsch Erster Schulabschluss (ESA) und Mittlerer Schulabschluss (MSA)“ der KMK stellt die Analyse „Pragmatische[r] Texte in unterschiedlicher Medialität“ (BS ESA & MSA 2004: 35) einen didaktischen Kernbereich dar. Die hier beschriebenen Anforderungen umfassen u. a. die zielorientierte Auswertung „nicht-lineare[r] und multimodale[r] Texte (Text-Bild-Bezüge) […], z. B. um über ein Thema zu sprechen oder zu schreiben“ (BSA ESA & MSA 2004: 35).2
Dass Internet-Memes ein geeignetes didaktisches Mittel sind, um diesen Anforderungen gerecht zu werden, wurde in der jüngeren linguistischen und didaktischen Forschung unterstrichen (vgl. z. B. Raith 2020). Besonders fokussiert wird dabei ein pragmatischer Kernbereich: die Sprechakttheorie nach John L. Austin, John R. Searle und H. Paul Grice, deren Untersuchungsgegenstand Form und Funktion sprachlicher Handlungen ist (vgl. Bülow 2017). Von traditionell schriftlichen Textsorten unterscheiden sich Internet-Memes insofern, als hier verwendete Sprechakte in der Regel multimodal, d. h. durch eine Kombination aus sprachlichen und bildlichen Elementen ausgedrückt werden (vgl. Modul
1: Einführung).
Dadurch haben Memes gegenüber anderen schriftbasierten Textsorten den Vorteil, dass sie die in den BS ESA & MSA (2004: 35) geforderte Ermittlung multimodaler Text-Bild- bzw. Sprache-Bild-Bezüge sowie die in den BS Allg. HSR (2012: 19) festgelegte Analyse sprachlicher und nichtsprachlicher Bestandteile in voller Breite abdecken können. Im Hinblick auf verschiedene Sprechakttypen (vgl. Modul 2: Sprechakte) wurde in der Forschung insbesondere der expressive Charakter von Internet-Memes hervorgehoben: „Almost every meme is created with the purpose of expressing something“ (Grundlingh 2017: 150). Dies ist nicht verwunderlich, da Memes im Regelfall von Usern und Userinnen gepostet werden, um eine Einstellung zu einem Sachverhalt auszudrücken. Der den Internet-Memes immanente Humor kann sich zudem sowohl durch direkte als auch indirekte Sprechakte konstituieren (vgl. Modul 2: Sprechakte). Insbesondere bei indirekten Sprechakten spielen Implikaturen und die Konversationsmaximen eine wichtige Rolle.
Die didaktische Analyse in Modul 3 thematisiert die Auseinandersetzung mit sprachlichen Handlungen und stellt dafür die Theorien der Implikatur und Konversationsmaximen nach H. Paul Grice in den Mittelpunkt.
Die didaktische Analyse beinhaltet folgende Kompetenzziele:
– Die Schüler und Schülerinnen identifizieren und erklären konversationelle Implikaturen, indem sie Internet-Memes analysieren.
– Die Schüler und Schülerinnen lernen das Wirken von Konversationsmaximen anhand von Internet-Memes kennen.
2 Sachanalyse
Die Idee, dass Sprechen nicht nur als bloßes Mitteilen von Informationen zu verstehen ist, sondern auch ein regelgeleitetes und soziales Handeln darstellt, ist mit den Namen von drei Sprachwissenschaftlern bzw. Sprachphilosophen verbunden, die als Väter der pragmatischen Sprechakttheorie gelten: John L. Austin, auf den die Sprechakttheorie zurückgeht (vgl. Modul 2: Sprechakte), John R. Searle, der Austins Theorie grundlegend weiterentwickelt hat sowie H. Paul Grice, den Begründer der Implikaturtheorie bzw. der Konversationsmaximen. Im Folgenden werden die Konversationsmaximen sowie die Implikaturtheorie fokussiert.
Konversationsmaximen und Implikaturtheorie
Im Zentrum der Forschung des englische Sprachphilosophen H. Paul Grice stand die „kommunikative Rationalität“ (Bülow 2017: 144) sprachlichen Handelns. Entsprechend sei Sprachhandeln als eine „Form von Handeln, bei dem die beteiligten Personen gewissen rationalen Prinzipien und Maximen folgen“ (Meibauer 2015: 219) zu begreifen. Den Ausgangspunkt seiner Beschreibungen bildet das sog. Kooperationsprinzip:
Mache deinen Gesprächsbeitrag jeweils so, wie es von dem akzeptierten Zweck oder der akzeptierten Richtung des Gesprächs, an dem du teilnimmst, gerade verlangt wird. (Grice 1979: 248)
Diesem Prinzip liegt die Annahme zugrunde, dass Gesprächspartner grundsätzlich ein bestimmtes Maß an Kooperationsbereitschaft zeigen. Im Beispiel 1b) beantwortet der Gesprächspartner zwar durchaus die Frage in 1a), allerdings würde eine solche Antwort wohl als äußerst unkooperativ wahrgenommen werden. Die Frage in 1a) beinhaltet einen indirekten Sprechakt (Direktiv, vgl. Modul 2: Sprechakte). Bei indirekten Sprechakten ist zwischen zwei verschiedenen illokutionären Bedingungen zu unterscheiden: der eigentlichen Sprechhandlung (primäre Illokution) und der wörtlichen Bedeutung (sekundäre Illokution) (vgl. Finkbeiner 2015: 20). In Beispiel 1) ist dasZiel der eigentlichen Sprechhandlung (= primäre Illokution), herauszufinden, wie der aktuelle Bundeskanzler Deutschlands heißt und nicht, ob der Hörer die Fähigkeit besitzt, diese Frage zu beantworten (= sekundäre Illokution).
1. a) Kannst du mir sagen, wie der aktuelle Bundeskanzler Deutschlands heißt?
b) Ja.
c) Sein Name ist Olaf Scholz.
Im Gegensatz dazu verhält sich der Gesprächspartner mit seiner Antwort in 1c) kooperativ und nennt gleich den Namen des Kanzlers.
Grice hat dieses Kooperationsprinzip um vier grundlegende Konversationskategorien erweitert, denen jeweils konkrete Konversationsmaximen zugeordnet sind.
Abbildung 1: Konversationskategorien und -maximen nach Grice (1979: 249f.)
Wichtig ist, dass es sich bei diesen Konversationsmaximen „nicht um deskriptive Generalisierungen handelt, sondern um normative Prinzipien und Maximen, genauer: um Rationalitätsstandards“ (Meibauer et al. 2015: 220). Grice‘ Theorie stellt demnach „eine Lehre von menschlichen Verhaltensweisen, die das kommunikative Miteinander regeln und sichern“ (Bülow 2017: 146) dar. Die eklatante Verletzung mehrerer Konversationsmaximen ist charakteristisch für Metaphern, Metonymien und Ironie im Allgemeinen. Es gibt auch Gesprächssituationen, in denen bestimmte Konversationsmaximen verletzt werden müssen, um andere aufrechtzuerhalten.
2. a) Weißt du, wo Sandra wohnt?
b) Irgendwo in der Schweiz.
In Beispiel 2) verletzt Sprecher bzw. Sprecherin B die Quantitätsmaxime, indem er bzw. sie nicht genau angibt, in welcher oder in der Nähe welcher Stadt in der Schweiz Sandra wohnt. Kooperativer wäre eine Antwort wie in Bern, in der Nähe von Zürich, bei Luzern usw. gewesen. Es ist aber anzunehmen, dass Sprecher bzw. Sprecherin B Sandras konkreten Wohnort nicht kennt und aus diesem Grund den Ausdruck in der
Schweiz verwenden musste, um nicht die Qualitätsmaxime zu verletzen („Versuche, einen wahren Gesprächsbeitrag zu machen!“).
Nach Grice werden bestimmte Konversationsmaximen manchmal sogar gezielt verletzt, um sog. konversationelle Implikaturen auszulösen. Unter einer Implikatur versteht man die Bedeutung einer Äußerung, die nicht wörtlich ausgedrückt wird; das bedeutet, dass der Sprecher bzw. die Sprecherin intendiert, mit der Äußerung (auch) etwas anderes zu kommunizieren als das wörtlich Gesagte.
Die Äußerung in Beispiel 2b) „implikatiert“ beispielsweise, dass der Sprecher bzw. die Sprecherin nicht genau weiß, in welcher Stadt/welchem Ort oder nahe welcher Stadt/welchen Orts in der Schweiz Sandra wohnt. Nach Grice kommt eine solche Implikatur dadurch zustande, „dass Kommunizierende miteinander in systematischer Weise über die Ebene dessen, was wörtlich gesagt wurde, hinausgehen, und dass sie sich dabei bestimmter Schlussverfahren bedienen, die auf allgemeinen Maximen der Konversation beruhen“ (Liedtke 2016: 70).
Dieses Schlussverfahren enthält nach Liedtke (2016: 75) die folgenden vier Schritte:
Abbildung 2: Konversationeller Schlussprozess (nach Liedtke 2016: 75)
Bei Beispiel 2b) handelt es sich um einen Maximenkonflikt: „Die Verletzung einer Maxime kann dadurch entstehen, dass man eine andere Maxime befolgt, dies aber nur möglich ist, wenn man gegen die erste Maxime verstößt“ (Liedtke 2016: 74). Der Adressat oder die Adressatin stellt also fest, dass die Quantitätsmaxime „Mache deinen Beitrag so informativ wie erforderlich!“ verletzt wurde (Schritt #2). Dennoch wird von der Einhaltung des Kooperationsprinzips ausgegangen (Schritt #3) und eine Uminterpretation des Gesagten vorgenommen (Schritt #4), bei der es sich um die Implikatur handelt, dass der Gesprächspartner oder die Gesprächspartnerin einfach nicht genau weiß, wo genau Sandra in der Schweiz wohnt.
Verstöße gegen einzelne Maximen treten aber auch dann auf, wenn es keinen Konflikt mit einer anderen Konversationsmaxime gibt. Ein klassisches Beispiel hierfür ist das Stilmittel der Ironie, dem sich Meme-Prosumenten und -Prosumentinnen besonders häufig bedienen, um Humor zu erzeugen.
Meme-Beispiel
Abbildung 3: Beispiel für ein ironisches Space Meme https://www.boredpanda.com/funny-space-nasa-memes/ [05.01.2023]
Bei der Analyse von Internet-Memes muss im Hinblick auf den konversationellen Schlussprozess allerdings nicht nur das wörtlich Gesagte (oder hier: Geschriebene) berücksichtigt werden, sondern auch das bildlich Dargestellte. Nach Kenntnisnahme des Geschriebenen im oberen Teil des Internet-Memes (Schritt #1), durch das ein semantischer Frame eröffnet wird, muss der Adressat oder die Adressatin auf Basis der bildlichen Darstellung feststellen, dass die Qualitätsmaxime verletzt wurde (Schritt #2): Dass der Himmel eine Grenze darstellt, ist angesichts Armstrongs Landung auf dem Mond keine wahre Äußerung. Dennoch wird von der Einhaltung des Kooperationsprinzips ausgegangen (Schritt #3): Der Adressat bzw. die Adressatin interpretiert das oben Geschriebene im Internet-Meme folglich so um, dass er oder sie die ironische Bedeutung der Äußerung „The sky is the limit“ erkennt, da gerade die bildlich dargestellte Mondlandung implikatiert, dass der Himmel keine Grenze darstellt (Schritt #4). Diese Erkenntnis wird durch die Äußerung „LOL“ (= Laughing Out Loud) im unteren Teil des Memes auch sprachlich unterstützt.
3 Beispiele für den Einsatz im Unterricht
Beispiel: Einstieg
Zu Beginn der Stunde wird das Meme präsentiert. Die Intention ist zunächst, dass die humorvolle Lesart seitens der Schülerinnen und Schüler
als solche identifiziert wird. Daran angelehnt sollte seitens der Lehrperson die Frage in den Raum gestellt werden, welche sprachlichen und/oder bildlichen Bestandteile des Memes dazu führen, dass diese humorvolle Lesart entsteht. Ziel ist es, dass die Schülerinnen und Schüler in eigenen Worten erklären, wie sich Humor bei diesem Internet-Meme entfaltet. Daran sollte unter Einbeziehung der bildlichen Elemente die Erkenntnis anschließen, dass der Satz „THEY TOLD ME THE SKY WAS THE LIMIT“ Ironie zum Ausdruck bringt.
Ziel ist die Erkenntnis seitens der Schülerinnen und Schüler, dass in dem Beispiel die Konversationsmaxime der Qualität verletzt wird, wodurch im Zusammenspiel mit dem Bild und dem Ausdruck „LOL“ eine ironisch-humorvolle Interpretation des Internet-Memes aufgerufen werden kann. Im Unterrichtsgespräch wird den Schülern und Schülerinnen der zugrundeliegende konversationelle Schlussprozess transparent gemacht.
1 Der in Lehrplänen und Bildungsstandards verwendete Begriff „pragmatischer Text“ ist aus text- sowie medienlinguistischer Perspektive irreführend, insofern sämtlichen Textsorten und -genres eine pragmatische Komponente beigemessen werden kann. Entsprechend gebrauchen wir den Begriff „pragmatischer Text“ nur in direkten Zitaten und verzichten anderweitig auf dessen Verwendung.
2 Wir legen im Folgenden einen weit gefassten Textbegriff aus der Mediensemiotik zugrunde, wonach „prinzipiell alle zeichenhaften Äußerungen und deren kommunikative Funktion und Leistung, egal welcher medialen Provenienz“ (Krah 2013: 31) als Texte zu verstehen sind.
3 In der Meme-Forschung sind daher auch die Begriffe Multimodaler Sprechakt und Meme-Sprechakt geläufig (für einen Überblick vgl. Osterroth 2020: 125 f.).
4 Ein expressiver Sprechakt charakterisiert das psychische Befinden bzw. die emotionale Einstellung des Textproduzenten bzw. der Textproduzentin zur mitgeteilten Botschaft, die in der Proposition zum Ausdruck gebracht wird (vgl. Brinker et al. 2014: 103).
5 Implikaturen dürfen dabei nicht mit Implikationen verwechselt werden, die logische Schlussfolgerungen auf Basis des wörtlich Gesagten zulassen, also rein semantisch beschreibbar sind.