Tagung


Tagung an der Ludwig-Maximilians-Universität München

SOCIAL GRAMMAR. ZUR SOZIALITÄT GRAMMATISCHER MUSTER

11. – 12. September 2025


Veranstalter:innen: Sören Stumpf (München) & Marie-Luis Merten (Zürich)
Keynote: Prof. Dr. Torsten Leuschner (Gent/London)

Die Tagung versteht sich als Folgeveranstaltung der SNF-Tagung „Digital Grammar Studies – Grammatik (in) der digitalen Kommunikation“, die im Frühjahr 2024 an der Universität Zürich stattgefunden hat. Sie soll zudem nicht der letzte Anlass sein, der sich aktuellen Tendenzen der funktionalen und kontextsensitiven Grammatikforschung widmet. So verfolgen wir das längerfristige Ziel, eine Tagungsreihe zum Thema „Grammatik im Kontext“ (GrammatiKon) zu etablieren, die in regelmäßigen Abständen zu wechselnden inhaltlichen Schwerpunkten – stets vor der Folie eines funktional-grammatischen Grundverständnisses – stattfinden wird.

Call for Papers

CfP als PDF
Beitragsvorschlag: max. 400 Wörter, exkl. Literaturverzeichnis
Deadline: 24. Februar 2025 an soeren.stumpf@lmu.de
Die Publikation der Vorträge in Form eines Sammelbandes oder Themenheftes ist vorgesehen.
Während der Beitrag, den unter anderem lexikalische und pragmatische Ressourcen zum Entwurf sozialer Ordnungen beisteuern, außer Frage steht und in sozio-, polito-, diskurs- oder gesprächslinguistischen Studien – um nur eine Auswahl zu nennen – eingehende Thematisierung erfährt, wird Grammatik noch allzu oft als kontextlosgelöstes System betrachtet (siehe aber bereits Grayshon 1977). Dabei bringen auch grammatische Strukturen soziale Verhältnisse hervor (Fox 1994), sie dienen der sozialen Positionierung (Günthner & Bücker 2009) und sind maßgeblich an der Konstitution sozial funktionalisierter Textsorten und Gesprächstypen beteiligt (Bücker, Günthner & Imo 2015; Nikiforidou & Fischer 2015; Hoffmann & Bergs 2018; Günthner 2018; Stumpf & Stein 2024). Insbesondere in konstruktionsgrammatischen Ansätzen wird zunehmend diese Sozialität (lexiko-)grammatischer Ressourcen wie in (1) bis (4) aufgedeckt und zum Anlass theoretischer Neuerungen – wie sie die Soziale Konstruktions-grammatik bietet (Ziem 2015; Leuschner & Schröter 2015; Leuschner 2020; Morin, Desagulier & Grieve 2024; Merten 2025) – genommen. (1) Fremd- und selbstpositionierende Wortbildungskonstruktionen, (2) textuell geprägte Überschriftenkonstruktionen, die der Evaluation dienen, (3) teilspezifizierte Perspektivkonstruktionen, aber auch (4) Modus und weitere grammatische Strukturen sowie Kategorien dienen als sozial wirksame Sprachtechniken (bspw. Zeman 2017; Imo & Ziegler 2019).
(1)  Wortbildungskonstruktion [Möchtegern-Determinatum]: Didi Hamann ist ein Möchtegern-Experte.
(2)  Schematische Superlativ-Überschriftenkonstruktion: Schön, schöner, München.
(3)  Perspektivierende als-Konstruktion: Als pensionierter Arzt kann ich mir darüber eine Meinung erlauben.
(4)  Imperativkonstruktionen zum Entwurf epistemischer Überlegenheit: Fahren Sie bitte einmal in ein sogenanntes Drittweltland oder in ein deutsches Krankenhaus und schauen Sie es sich vor Ort an, was Sie da larmoyant verharmlosen.
Die Einbettung von Grammatik in komplexe Gefüge gesellschaftlicher und öffentlicher Kommunikation steht unter anderem im Fokus solcher Studien, die grammatische Fragestellungen mit Ansätzen und Modellen wie (a) Stancetaking und Metapragmatik (Gillmann 2024; Merten 2023, 2025), (b) Narrativität (Lasch 2018; Ziem & Lasch 2018; Zeman 2020; Ziem 2023), (c) Sprachideologie (Bunk 2024; Frick 2022; Frick & Meletis 2024), (d) (inter- und intra-individuelle) Variation (Hollmann 2013; Werth et al. 2021; Schmid et al. 2021), (e) Interaktion und Multimodalität (Imo 2015; Zima 2017; Dübbert 2024; Tophinke & Dübbert 2024) sowie (f) Wissen und Diskurs (Müller 2018; Michel 2024; Stumpf i. Dr./2025) verknüpfen. Gemein ist dem Großteil dieser Zugänge die Annahme, dass grammatische Strukturen nur dann angemessen erforscht werden können, wenn sie in ihrer Verschränkung mit kommunikativ-pragmatischen und soziokognitiven Faktoren perspektiviert werden.
Eine Vielzahl an (lexiko-)grammatischen Mustern prägt Gesellschaft; sie kennzeichnet insofern ein Kontextualisierungspotenzial (Fox 1994; Kallmeyer & Inken 1986), als diese (lexiko-)grammatischen Res-sourcen – in ihrer realisierten Form und angesichts ihres mehr oder weniger indexikalischen Profils – Personentypen und soziale Situationen evozieren können (Spitzmüller 2013). Voraussetzung dafür ist zugleich, dass sich diese (lexiko-)grammatischen Muster in Situationen des gesellschaftlichen (kommunikativen) Zusammenkommens herausbilden und verfestigen (Tophinke 2012; Schmid 2014, 2020; Mer-ten 2018; Höder 2018; Moore 2023). Haspelmath (2002: 271) spricht folglich von Grammatik als „geronnener Diskurs“, Fox (2007) hebt die sozialen Prinzipien hervor, die auf grammatische Formationen einwirken.
Wir möchten die Tagung dazu nutzen, aktuelle Forschung zur Sozialität grammatischer Muster zusam-menzuführen. Dabei sind verschiedene funktional-grammatische Zugänge willkommen, so etwa Arbeiten der Funktionalen Grammatik, der Systemisch-funktionalen Grammatik, der Kognitiven Grammatik oder der Konstruktionsgrammatik, um nur einige zu nennen. Explizit dazu einladen möchten wir, die entsprechenden Studien durch die theoretisch-methodologische Integration sozio-, text-, gesprächs-, diskurs- und/oder medienlinguistischer Konzepte und Modelle anzureichern. Wir freuen uns auf Beitragsvorschläge zum Deutschen sowie zu verwandten Sprachen mit text-, gesprächs-, diskurs- und/oder medienspezifisch-grammatischem Schwerpunkt, die grundsätzlich „Sprache als soziale Gestalt“ (Feilke 1996) betrachten und sich im Framework einer Social Grammar verorten lassen.
Literatur

Bücker, Jörg, Susanne Günthner & Wolfgang Imo (Hg.) (2015): Konstruktionsgrammatik V. Konstruktionen im Spannungsfeld von sequenziellen Mustern, kommunikativen Gattungen und Textsorten. Tübingen: Stauffenburg.

Bunk, Oliver (2024): What does linguistic structure tell us about language ideologies? The case of majority language anxiety in Germany. European Journal of Applied Linguistics 12, 91–116.

Dübbert, Alexander (2024): Multimodale Konstruktionen im „Alltagskonsumkosmos“. Eine empirische Studie zur grammatischen Bedeutsamkeit von Schriftbildlichkeit. Berlin/Boston: De Gruyter.

Feilke, Helmuth (1996): Sprache als soziale Gestalt. Ausdruck, Prägung und die Ordnung der sprachlichen Typik. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Fox, Barbara A. (1994): Contextualization, indexicality, and the distributed nature of grammar. Language Sciences 16, 1–37. Fox, Barbara A. (2007): Principles shaping grammatical practices: an exploration. Discourse Studies 9, 299–318.

Frick, Karina (2022): Beware, grammar police: Grammar and spelling (norms) as positioning tools on the internet. Bulletin Suisse De Linguistique Appliquée 116, 93–117.

Frick, Karina & Dimitrios Meletis (2024): People incorrectly correcting other people: The pragmatics of (re-)corrections and their negotiation in a Facebook group. Discourse, Context and Media 61, 1–11.

Gillmann, Melitta (2024): Allostructions and stancetaking: a corpus study of the German discourse management constructions Wo/wenn wir gerade/schon dabei sind. Cognitive Linguistics 35, 67–107.

Grayshon, Matthew C. (1977): Towards a Social Grammar of Language. Mouton: Den Haag.

Günthner, Susanne (2018): Routinisierte Muster in der Interaktion. Verfestigte prosodische Gestalten, grammatische Konstruktionen und kommunikative Gattungen bei der Konstruktion sozialer Handlungen. In: Arnulf Deppermann & Silke Reineke (Hg.): Sprache im kommunikativen, interaktiven und kulturellen Kontext. Berlin/Boston: De Gruyter, 29–50.

Günthner, Susanne & Jörg Bücker (Hg.) (2009): Grammatik im Gespräch. Konstruktionen der Selbst- und Fremdpositionierung. Berlin/New York: De Gruyter.

Haspelmath, Martin (2002): Grammatikalisierung: von der Performanz zur Kompetenz ohne angeborene Grammatik. In: Sybille Krämer & Ekkehard König (Hg.): Gibt es eine Sprache hinter dem Sprechen? Frankfurt am Main: Suhrkamp, 262–286.

Höder, Steffen (2018): Grammar is community-specific: Background and basic concepts of Diasystematic Construction Grammar. In: Hans C. Boas & Steffen Höder (Hg.): Constructions in contact. Constructional perspectives on contact phenomena in Germanic languages. Amsterdam/Philadelphia: Benjamins, 37–70.

Hoffmann, Thomas & Alexander Bergs (2018): A Construction Grammar Approach to Genre. CogniTextes 18, 1–23.

Hollmann, Willem B. (2013): Constructions in cognitive sociolinguistics. In: Thomas Hoffmann & Graeme Trousdale (Hg.): The Oxford Handbook of Construction Grammar. Oxford: Oxford University Press, 491–509.

Imo, Wolfgang (2015): Interactional Construction Grammar. Linguistics Vanguard 1, 69–77.

Imo, Wolfgang & Evelyn Ziegler (2019): Situierte Konstruktionen: Das Indefinitpronomen man im Kontext der Aushandlung von Einstellungen zu migrationsbedingter Mehrsprachigkeit. Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 94, 75–104.

Kallmeyer, Werner & Inken Keim (1986): Formulierungsweise, Kontextualisierung und soziale Identität. Dargestellt am Beispiel des formelhaften Sprechens. Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 64, 98–126.

Lasch, Alexander (2018): Phrasale Konstruktionen als Basis narrativer Routinen. Zeitschrift für germanistische Linguistik 46, 44–64.

Leuschner, Torsten (2020): Das V1-Konditionalgefüge zwischen Phraseologie und Politolinguistik. In: Sören Stumpf & Natalia Filatkina (Hg.): Formelhafte Sprache in Text und Diskurs. Berlin/Boston: De Gruyter, 85–114.


Leuschner, Torsten & Melani Schröter (2015): Von der Schlagwortforschung zur soziokognitiv orientierten Konstruktionsgrammatik: das Beispiel Drang nach Osten. In: Alexander Ziem & Alexander Lasch (Hg.): Konstruktionsgrammatik IV. Konstruktionen als soziale Konventionen und kognitive Routinen. Tübingen: Stauffenburg, 155–177.


Merten, Marie-Luis (2018): Literater Sprachausbau kognitiv-funktional. Funktionswort-Konstruktionen in der historischen Rechtsschriftlichkeit. Berlin, Boston: De Gruyter.


Merten, Marie-Luis (2023): Positionierungen epistemisch, evidential, deontisch: Linguistische Methoden der konstruktionsgrammatischen Stance-Forschung. In: Mark Dang-Anh (Hg.): Politisches Positionieren. Sprachliche und soziale Praktik. Heidelberg: Winter, 99–121.


Merten, Marie-Luis (2025): Soziale Positionen – soziale Konstruktionen. Stancetaking im Online-Kommentieren. Berlin/Boston: De Gruyter.


Michel, Sascha (Hg.) (2024): Diskursmorphologie. Ansätze und Fallstudien zur Schnittstelle zwischen Morphologie und Diskurslinguistik. Berlin/Boston: De Gruyter.


Moore, Emma (2023): Socio-syntax. Exploring the Social Life of Grammar. Cambridge: Cambridge University Press.


Morin, Cameron, Guillaume Desagulier & Jack Grieve (2024): A social turn for Construction Grammar: double modals on British Twitter. English Language and Linguistics 28, 275–303.


Müller, Marcus (2018): Diskursgrammatik. In: Ingo H. Warnke (Hg.): Handbuch Diskurs. Berlin/Boston: De Gruyter, 75–103.


Nikiforidou, Kiki & Kerstin Fischer (2015): On the interaction of constructions with register and genre. Constructions and Frames 7, 137–147.


Schmid, Hans-Jörg (2014): Lexico-grammatical patterns, pragmatic associations and discourse frequency. In: Thomas Herbst, Hans-Jörg Schmid & Susen Faulhaber (Hg.): Constructions – collocations – patterns. Berlin/Boston: De Gruyter, 239–293.


Schmid, Hans-Jörg (2020): The Dynamics of the Linguistic System. Usage, Conventionalization, and Entrenchment. Oxford: Oxford University Press.


Schmid, Hans-Jörg, Quirin Würschinger, Sebastian Fischer & Helmut Küchenhoff (2021): That’s cool. Computational sociolinguistic methods for investigating individual lexico-grammatical variation. Frontiers in Artificial Intelligence 3, 1–16.


Spitzmüller, Jürgen (2013): Metapragmatik, Indexikalität, soziale Registrierung. Zur diskursiven Konstruktion sprachideologischer Positionen. Zeitschrift für Diskursforschung 3, 263–287.


Stumpf, Sören (i. Dr./2025): Syntaktische Negation in Verschwörungstheorien: Eine diskursgrammatische Untersuchung der Inexistenz-Konstruktion [es gibt kein X]. Zeitschrift für germanistische Linguistik.


Stumpf, Sören & Stephan Stein (Hg.) (2024): Konstruktionsgrammatik X. Textsorten und Textmuster als Konstruktionen? Tübingen: Stauffenburg.


Tophinke, Doris (2012): Syntaktischer Ausbau im Mittelniederdeutschen. Theoretisch-methodische Überlegungen und kursorische Analysen. Niederdeutsches Wort 52, 19–46.


Tophinke, Doris & Alexander Dübbert (2024): „4 THe BoYZ“ – Widmungen im Szene-Graffiti aus konstruktionsgrammatischer Perspektive. Eine multimodale Relator-Konstruktion als grammatische Musterbildung im Horizont des Textes. In: Sören Stumpf & Stephan Stein (Hg.): Konstruktionsgrammatik X. Textsorten und Textmuster als Konstruktionen? Stauffenburg, Tübingen, 89–112.


Werth, Alexander, Lars Bülow, Simone E. Pfenninger & Markus Schiegg (Hg.) (2021): Intra-individual Variation in Language. Berlin/Boston: De Gruyter.


Zeman, Sonja (2017): Confronting perspectives: modeling perspectival complexity in language and cognition. Glossa: A Journal of General Linguistics 2/1: 6, 1–22.


Zeman, Sonja (2020): Grammatik der Narration. Zeitschrift für germanistische Linguistik 48, 457–494.


Ziem, Alexander (2015): Desiderata und Perspektiven einer Social Construction Grammar. In: Alexander Ziem & Alexander Lasch (Hg.): Konstruktionsgrammatik IV. Konstruktionen als soziale Konventionen und kognitive Routinen. Tübingen: Stauffenburg, 1–25.


Ziem, Alexander & Alexander Lasch (2018): Konstruktionsgrammatische Zugänge zu narrativen Texten. Ausgangspunkte und Perspektiven. Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 48, 389–410.


Ziem, Alexander (Hg.) (2023): Konstruktionsgrammatik VIII. Konstruktionen und Narration. Tübingen: Stauffenburg.


Zima, Elisabeth (2017): Multimodality and Construction Grammar. Themenheft Linguistics Vanguard 3.1.